“Kein Tabu! Wir reden drüber: Häusliche Gewalt“ – Ein Bericht

Am vergangenen Dienstag fand im Kesselhaus der Weberei die vom Grünen Frauenforum organisierte und von Andrea Blome moderierte Podiumsdiskussion “Kein Tabu! Wir reden drüber: Häusliche Gewalt“ statt. Ulle Schauws (Bundestagsabgeordnete für BÜNDNIS 90/Die Grünen), Asha Hedayati (Anwältin und Autorin), Alina Skobowsky-Natawan (Mitarbeiterin Frauenberatungsstelle), Meike Hoffmann und Pia Kugis-Johannknecht (Mitarbeiterinnen des Frauenhauses) sowie Gleichstellungsbeauftragte Inge Trame und Andreas Schröder vom Opferschutz Gütersloh brachen das Tabu: Sie sprachen offen über ihre Arbeit und Erfahrungen und ihre Forderungen an die Politik.

Dominiert wurde die Diskussion von der steigenden Zahl der Opfer häuslicher Gewalt in Deutschland im Jahr 2022: Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl um 8,5 %. Im Kreis Gütersloh wurden im Jahr 2022 insgesamt 823 Fälle von häuslicher Gewalt registriert. 18,3 % allererfassten Opfer sind Opfer von Gewalt in bestehenden Partnerschaften. Besonders alarmierend ist die Tatsache, dass stündlich mehr als 14 Frauen – also alle 4 Minuten – Opfer von Partnerschaftsgewalt werden. Noch beunruhigender ist, dass fast jeden Tag ein Mann versucht, seine (Ex-)Partnerin zu töten und dass jeder dritte Versuch tatsächlich zum Tod der Frau führt. Etwa vier von fünf Opfern von Gewalt in Paarbeziehungen sind Frauen. Trotz dieser schockierenden Zahlen bleibt ein Aufschrei in der Gesellschaft, wie er beispielsweise regelmäßig in Spanien anlässlich der Femizide zu verzeichnen ist, hier in Deutschland aus. „Warum empören sich die Menschen in Deutschland, auch in Gütersloh, nicht über diese Zahlen?“, fragt Moderatorin Andrea Blome mit Blick in das kleine, überwiegend weibliche Publikum.

Wir leben in einer zunehmend emanzipierten Gesellschaft, in der Selbstbestimmung und Chancengerechtigkeit großgeschrieben werden. Wie kann es sein, dass in einer solchen Gesellschaft die Gewalt sogar zunimmt? Ganz klar: “Männliche Gewalt steigt nicht trotz, sondern wegen der Emanzipation.” Asha Hedayati, Anwältin und Autorin des Buches “Die Stille Gewalt”, erklärt es noch etwas genauer: Gewalt beginnt nicht von heute auf morgen. Sie beginnt mit Kontrolle und emotionaler Erpressung, die Betroffenen werden von ihrem sozialen Umfeld isoliert und haben dann kein Korrektiv mehr. Die Frauen stehen allein zwischen der Hoffnung und der Sehnsucht nach alten Zeiten und dem damaligen Partner, und der Angst vor Gewalt gegen sich und die Kinder. Gleichzeitig befinden sie sich aber in einem Abhängigkeitsverhältnis: Die Trennung vom gewalttätigen Partner geht meist einher mit der Trennung vom gewohnten Umfeld und Mittellosigkeit einher. Die Frau ist gefangen in der Care-Situation, in wirtschaftlichen Abhängigkeiten und muss für sich und ihre Kinder geeigneten Wohnraum finden. Sie muss sich zwischen einer Gewaltbeziehung und Armut entscheiden, und sie trifft diese Entscheidung auch für ihre Kinder. Emanzipatorische Schritte aus der Beziehung heraus sind dann der Auslöser für das Umschlagen in die Gewalt. Und an diesem Punkt, wenn die Frauen ihre Stimmen erheben, wird es für sie und ihre Kinder gefährlich: Die Gewalt beginnt oft mit einem dem Gefühl des Macht- und Kontrollverlustes beim Täter. Und diese „Nachtrennungsgewalt“ ist ein hoher Risikofaktor für Femizide. Dramatisch sind die Auswirkungen von Partnerschaftsgewalt auf die Kinder und die damit verbundenen und erlebten Loyalitätskonflikte – deshalb werden vor allem die Kinder vernetzt und sozialpädagogisch unterstützt. Auch hier sind die Zahlen erschreckend: 42,3 % aller Personen in Ein-Eltern-Haushalten sind armutsgefährdet, jede zweite Frau erhält keinen Unterhalt, die andere Hälfte nicht den vollen Unterhalt.

Asha Hedayati weist darauf hin, dass frauenfeindliche Mythen und Vorurteile mächtig sind und sich durch Gesellschaft und staatliche Institutionen ziehen. Frauen wird systematisch nicht geglaubt, wenn sie Gewalt erfahren haben. Ihnen werde unterstellt, sie würden lügen und sich die Gewalterfahrung ausdenken. Frauen würden ständig „bewertet, beurteilt und verurteilt“, anstatt den Täter in den Mittelpunkt zu stellen. „Wir Frauen reden hier über ein Problem, das ein Männerproblem ist“, sagt Asha Hedayati. Und Ulle Schauws, Bundestagsabgeordnete für BÜNDNIS 90/Die Grünen, stimmt aus politischer Sicht zu: “Wer schlägt, der geht. Dieser Satz sollte unser Gewaltschutzsystem bestimmen”. Fast alle Strafverfahren im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt, so ergänzt Asha Hedayati ihre Erfahrungen aus dem Gerichtssaal, würden eingestellt. Ulle Schauws reagiert emotional: „Was mich wütend macht, ist, dass die deutschen Gesetze die Täter schützen“. 

Ulle Schauws (Bundestagsabgeordnete für BÜNDNIS 90/Die Grünen) und Asha Hedayati (Anwältin und Autorin des Buches “Die Stille Gewalt” im Gespräch mit Andrea Blome.

Das muss hart sein für eine Anwältin, die sich tagtäglich mit solchen Familienschicksalen zu tun hat. Wie schafft es Asha Hedayati, weiter so positiv und inspirierend zu sein? Asha überlegt kurz, dann antwortet sie: „Es ist ein unglaubliches Gefühl, wenn Betroffene sich aus der Gewalt befreien.“ Denn oft schämten sich die Opfer und ihnen würde die Schuld dafür gegeben, so „naiv“ an diesen Täter geraten zu sein. Dabei seien es die Täter, die sich schämen sollten. Die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Gütersloh, Inge Trame, ergänzt an dieser Stelle, dass eine auch eine Männerberatungsstelle wünschenswert ist, denn Täterprävention sei der beste Opferschutz. Mit der Männerberatung „Man o Mann“ in Bielefeld gibt es dies bereits in der Region, aber noch nicht in Gütersloh.

Hier setzt die Frauenberatungsstelle als Anlaufstelle für Gewaltopfer an. Die Frauen machen zum ersten Mal die Erfahrung, dass ihnen geglaubt wird und sie Unterstützung erhalten, erzählt Alina Skobowsky-Natawan und ist froh, wenn eine Frau den Weg zu ihr findet: „Manche Beratungen gehen schnell. Manchmal dauert es Jahre.“ Das Team der Frauenberatungsstelle betont, dass ein Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe für Opfer geschaffen werden muss und dieser mit Leben gefüllt werden muss. Besonderes Augenmerk wird auf den Schutz von Frauen und vor allem auf den von Kindern gelegt, denn gerade die Kleinsten haben es besonders schwer, Schutz zu finden. Alina Skobowsky-Natawan zitiert die Aussage einer Frau: „Meine Gewaltbeziehung ist wie ein goldener Käfig.“ Manche Frauen denken, hätten die Situation im Griff, aber wenn sie sich dann trennen, kommt eine Lawine ins Rollen …

Kriminalhauptkommissar Andreas Schröder, der auch Opferschutzbeauftragter ist, erzählt, dass die Polizei kommt, wenn die Gewaltsituation akut ist. Wenn die Polizei vor Ort ist, steht sie vor dem Dilemma, herauszufinden, wer der Täter ist. Die Beweislage beruht zu diesem Zeitpunkt auf mündlichen Aussagen. Die Polizei kann eine Wohnungsverweisung für 10 Tage verhängen, damit um den Einwirkungsbereich des Täters einzuschränken. Wenn die Wohnungsverweisung nicht greift, kann der Täter in Gewahrsam genommen werden. Für die Entwicklung eines Schutzkonzeptes gibt es leider nur beschränkte Möglichkeiten, den Täter wegzusperren. Also heißt es: Frau und Kinder raus aus dem Umfeld. Und es kann sein, dass die Distanz nicht ausreicht und eine weit entfernte Unterbringung notwendig wird. Wenn Frauen sich nicht sicher fühlen, weichen sie zu Freund:innen und Bekannten aus. Das Problem ist die kurzfristige Unterbringung im Frauenhaus vor Ort, manchmal muss auf Frauenhäuser in anderen Regionen ausgewichen werden.

Hier finden Frauen und ihre Kinder erst einmal Schutz. Das Frauenhaus steht in engem Kontakt mit der Polizei, erzählen Meike Hoffmann und Pia Kugis-Johannknecht. Es wird geklärt, wo für die Familie ein sicheres Zuhause finden kann – und das ist nicht einfach, denn die Familien sind rechtlich an die Väter gebunden. Der Aufenthalt im Frauenhaus kostet: 49,59 Euro pro Person und Tag. Kommt die Frau mit zwei Kindern betragen die Kosten 150 Euro pro Tag. Das können sich die Frauen meistens nicht leisten. Jede Frau, die kommt, muss einen Antrag beim Jobcenter stellen. Das ist für die betroffenen Frauen ein sozialer Abstieg, und sie überlegen es sich sehr genau, ob sie diesen Schritt tun. Das Podium stellt erschüttert fest: „Frauen in NRW müssen für den Schutz vor Gewalt zahlen und gehen damit in die Armut“. Die Frauen werden auf dem Weg dahin begleitet, für sich die Frage zu beantworten: Was für ein Leben möchte ich führen? Und diesen Weg auch selbstbestimmt zu gehen: „Die Frauen sind in einer Multiproblemlage. Das ist eine große Herausforderung. Und wir im Frauenhaus wollen es schaffen, dass die Frauen in der Lage sind, sich ein eigenes gewaltfreies Leben aufzubauen. Und auch wenn die Frauen in ihre Beziehung zurückgehen“, fügt Alina Skobowsky-Natawan hinzu, „dann nehmen sie die Vernetzung mit.“ 

Ulle Schauws verweist auf die Umsetzung der Istanbul-Konvention. Auch im Koalitionsvertrag ist eine verlässliche Finanzierung der Frauenhäuser verankert, denn derzeit ist die Finanzierung der Frauenhäuser nicht Aufgabe des Bundes, sondern der Länder und Kommunen ist. Dies hat zur Folge, dass die Finanzierung der Frauenhäuser, außer in Schleswig-Holstein, häufig über Einzelfallfinanzierung erfolgt. Für den Schutz von Frauen spielt es daher eine große Rolle, WO sie Gewalt erleben. Denn, so Ulle Schauws: „Platz für Gewaltschutz soll kostenfrei werden. Wir brauchen das Bewusstsein in der Gesellschaft, dass es einen Rechtsanspruch auf ein Leben ohne Gewalt gibt. Wir brauchen Gewaltschutz für Frauen UND ihre Kinder.“ Und das ist heute leider KEINE Selbstverständlichkeit.

Der Gegenwind ist enorm, wenn man sich zu häuslicher Gewalt äußert. Feministische Bewegungen wie „me too“, die sich für die Rechte von Frauen und queeren Menschen einsetzen, sehen sich zunehmend mit Gegenwind und antifeministischen Angriffen konfrontiert. Für Ulle Schauws ist dies jedoch ein Zeichen für den gewachsenen Einfluss und den Erfolg dieser Bewegungen. Sie kennt es aus dem Bundestag: Die AfD tut so, als sei die Gewalt importiert und ausschließlich ein Problem von Menschen mit Migrationshintergrund. Das stimme aber nicht: Die AfD schaue weg, wo die Täter in den eigenen Reihen und in der gesamten Gesellschaft sitzen und verhöhnt damit die Gewalt gegen Frauen. „Solche Angriffe auf Feministin*innen und feministische Bewegungen nehmen zu, je erfolgreicher wir sind.“

Bild (von links): Andrea Blome, Ulle Schauws, Asha Hedayati, Pia Kugis-Johannknecht, Meike Hoffmann, Alina Skobowsky-Natawan, Andreas Schröder und Inge Trame.

Insgesamt war die vom Grünen Frauenforum organisierte Podiumsdiskussion “Kein Tabu! Häusliche Gewalt – wir reden drüber“ ein wichtiger Schritt, um das Bewusstsein für das Problem der häuslichen Gewalt zu schärfen und Lösungsansätze zu diskutieren. Gewalt gegen Frauen ist kein „Frauenthema“, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem, dem sich insbesondere auch Männer stellen müssen. Inge Trame, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Gütersloh, betont: „Gewalt in der Partnerschaft ist keine Privatsache! Jede:r Einzelne ist in der Pflicht, als Nachbar:in, Freund:in zur Seite zu stehen und Gewalt in Partnerschaften aktiv entgegenzutreten. Der Gewaltschutz funktioniere ohne das Netzwerk der anwesenden Institutionen. Es ist wichtig, darüber zu sprechen. Und das tun wir im Kreis Gütersloh regelmäßig. „Der Dank gilt denen, die die Arbeit tagtäglich machen.“ 

Die Gäste des Podiums, also auf der kommunalen, bundespolitischen und juristischen Ebene, sind bei dieser Veranstaltung des Grünen Frauenforums erstmals zusammengekommen und freuen sich über die Entstehung eines bedeutenden Netzwerks, um sich inhaltlich auszutauschen und gemeinsam voranzukommen.

Der Aktionstag „Orange Day“ am 25.11. macht auf dieses Thema aufmerksam, für das die gesamte Gesellschaft Verantwortung trägt.

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